Christoph-Eric Mecke, Kirsten Scheiwe
Gemeinsame Elternverantwortung
Eine rechtsvergleichende Studie zu Grundfragen und Problemen beim Elternkonflikt getrennt lebender Eltern
Göttinger Juristische Schriften, Band 21
Universitätsverlag Göttingen 2018
Das Recht der elterlichen Sorge hat in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Wandel erlebt, vor allem mit Blick auf die Gestaltung des Sorgerechts nach Scheidung oder Trennung – und zwar unabhängig davon, ob die Eltern des Kindes verheiratet waren oder nicht. Die letzte große Reform des Sorgerechts fand in Deutschland 1998 statt, doch erneut stehen Fragen nach der Angemessenheit und Reformbedürftigkeit der gemeinsamen Elternverantwortung nach Trennung und Scheidung zur Diskussion und folgerichtig auch auf dem Programm der Familienrechtlichen Abteilung des 72. Deutschen Juristentages 2018. In dieser Situation kann ein rechtsvergleichender Blick auf Entwicklungen in ausländischen Rechtsordnungen hilfreich sein, um durch den Rechtsvergleich und die Rezeption ausländischer empirischer Untersuchungsergebnisse aus den Erfahrungen anderer Länder zu lernen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu analysieren sowie Vor- und Nachteile unterschiedlicher Modelle zu diskutieren.
Nach Trennung und Scheidung besteht inzwischen die gemeinsame elterliche Sorge in den europäischen Rechtsordnungen in der Regel fort, unabhängig vom Status des Kindes als eheliches oder nicht eheliches Kind. Alleinsorge kann weiterhin aus Kindeswohlgründen angeordnet werden, ist aber seltener geworden.
Dagegen stehen Fragen der Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Vordergrund und beschäftigen in Streitfällen, vor allem nach Trennung und Scheidung, häufig die Gerichte. Bei Uneinigkeit der Eltern ist oft strittig, ob ein Elternteil eine bestimmte Entscheidung im Rahmen der gemeinsamen Sorge allein treffen darf und wem die Entscheidungskompetenz zusteht. Dies betrifft auch Fragen der rechtlichen Vertretung des Kindes, wobei europäische Rechtsordnungen deutliche Unterschiede in der Frage aufweisen, ob gemeinschaftliche Vertretung oder Einzelvertretung das grundlegende Prinzip ist. Typische Streitthemen vor Gerichten reichen vom Aufenthaltsbestimmungs- und Umgangsrecht einschließlich der Frage, ob das Gericht den alternierenden Aufenthalts des Kindes im sog. Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils anordnen kann, über Streitigkeiten im Falle eines geplanten oder bereits erfolgten Umzugs eines Elternteils mit dem Kind im Inland, ferner Reisen eines Elternteils mit dem Kind ins Ausland, Entscheidungen zur Kindergarten- und Schulwahl bis hin zur Gesundheitssorge für das Kind (Impfungen u.a.) oder Knabenbeschneidung.
Diese Streitfragen finden sich in der Rechtsprechung zahlreicher Länder trotz grundsätzlicher Unterschiede in der jeweiligen Ausgestaltung der gemeinsamen elterlichen Verantwortung und der Regeln darüber, was ein Elternteil allein entscheiden kann und was beide gemeinsam entscheiden müssen. Die unterschiedlichen nationalen rechtlichen Modelle zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge und der rechtlichen Vertretung des Kindes bewegen sich in einem Spektrum zwischen weitreichender Autonomie des jeweils betreuenden Elternteils auf der einen Seite und einem weitreichenden Kooperationszwang für beide Eltern auf der anderen. Im Mittelpunkt dieser Veröffentlichung steht die rechtsvergleichende Darstellung der Regeln über die gemeinsame Elternverantwortung und ihre Ausübung für mehrere europäische Länder auf dem aktuellen Stand, der bisher fehlte. Ein Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung der Rechtsregeln zur Lösung von Elternkonflikten, wenn die Eltern nicht zusammenleben.