In einem schwach beleuchteten Kinderzimmer unterm Dach, kurz vorm Schlafengehen. Der kleine Markus sitzt im Pyjama vor seiner Mutter. „Gib mir mal die Hand.“ Sie packt die Hand ihres Sohnes und führt sie zwischen ihre Beine. „Du musst das lernen. Für später.“ Sie bewegt sie hoch und runter. Fängt an zu schnaufen. Der Junge zieht die Hand ängstlich zurück, wird geohrfeigt. Die Mutter packt ihn wieder, macht weiter.

„Die Mutter ist die Bezugsperson schlechthin im Leben eines Kindes. Dass diese Verantwortung missbraucht wird, wollen wir einfach nicht wahrhaben“, erklärt Jörg Schuh, Mitarbeiter bei Tauwetter e.V., einer Anlaufstelle für Männer, die in der Kindheit missbraucht wurden. „Außerdem widerspricht es schlichtweg dem klassischen Rollenbild, in dem der Mann der Täter und die Frau das Opfer ist. Besonders wenn erwachsene Männer von Missbrauch sprechen, scheint das erstmal unglaubwürdig, weil schwer vorstellbar.“ (...)

Dabei stößt er vor allem bei der Suche nach Hilfe auf ein Verhalten, das Ausdruck des krampfhaften Versuches ist, ein Geschlechterbild aufrechtzuerhalten, das schlichtweg die Möglichkeit eines Missbrauchs des Mannes durch die Frau ausschließt: Es wird von verschiedenen Seiten versucht, ihn in die aktive, die Täterrolle zu drängen. „Haben Sie nicht manchmal auch ein bisschen Lust empfunden?“, fragt ihn ein Therapeut augenzwinkernd. (...)


Aber selbst, als längst die ganze Schuld der Mutter offen zu Tage liegt und Markus dazu anhebt, vor ungefähr 100 Verwandten die Einzelheiten des Missbrauchs auszusprechen, wehrt sich irgendwas in einem dagegen. Man kann immer noch nicht ganz akzeptieren, dass diese Frau diesem Mann diese Dinge angetan hat. Aber zu echter Gleichberechtigung gehört es wohl auch, Frauen zuzugestehen, dass sie Täterinnen sein können.